• Autonomie, Selbstbestimmung

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Geschichte
In medizinethischen Fachtexten besteht seit dem 20. Jhd. ein immer größeres Interesse an Zusammenhängen von Autonomie und Selbstbestimmung. In der zweiten Hälfte des 20. Jhd. wird der Autonomiebegriff in der Onkologie und in der Schmerztherapie zunehmend häufiger verwendet. Diesen Verwendungsmustern liegt ein Paradigmenwechsel in der ärztlichen Haltung zugrunde, der weg von ärztlichem Paternalismus und hin zu einer an der Autonomie der Patientin/ des Patienten orientierten Haltung führt. Die Palliativmedizin hat diesen Paradigmenwechsel in ihren Werthaltungen früh und konsequent vollzogen: Autonomie und Selbstbestimmung gehören seit Beginn des Untersuchungszeitraums zu den Schlüsselbegriffen der Palliativmedizin.

 

Bedeutungsspektrum in der Palliativmedizin
Obwohl sich eine klare Grenzziehung zwischen Autonomie und Selbstbestimmung in der Alltagssprache kaum begründen lässt – hier ist es in den meisten Kontexten möglich, beide Begriffe synonym zu verwenden –, können anhand einer empirischen Analyse Tendenzen in der Fachsprache der Palliativmedizin benannt werden.
Der Autonomiebegriff existiert in der abendländischen Philosophie seit mindestens 2400 Jahren, und er bewegt sich auch in der Palliativmedizin semantisch in der Nähe anderer philosophisch-ethischer Kategorien wie Freiheit, Würde, Gerechtigkeit, Achtung, Individualität, Wunsch und Wille. Autonomie bedeutet die Achtung der Person (der Subjekthaftigkeit) des kranken und sterbenden Menschen. Handlungsautonomie als globale Autonomie steht semantisch in der Nähe von Selbstständigkeit und bezeichnet die physischen und kognitiven Fähigkeiten, das eigene Leben ohne Hilfebedarfe effektiv bewältigen zu können. Autonomie ist ein wichtiger Teil der Lebensqualität. Kontextabhängig kann Autonomie als Überbegriff zu Selbstbestimmung gesehen werden (z.B. Achtung der Autonomie und der Menschenwürde auch bei eingeschränkter oder aufgehobener Selbstbestimmungsfähigkeit). Global gesehen bildet Autonomie einen Gegenbegriff zu ärztlichem Paternalismus.
Das Wort Selbstbestimmung wird wesentlich häufiger in Rechtskontexten verwendet, beispielsweise im Kontext von Patientenverfügungen oder Einwilligungsfähigkeit. Es meint dann im Sinne eines juristischen Persönlichkeitsrechts die psychischen, kognitiven (und physischen) Fähigkeiten, den eigenen Willen zu artikulieren und etwa in Bezug auf Behandlungsverläufe und Therapiezieländerungen begründet Entscheidungen zu treffen. Zahlreiche juristische Wörter werden zur Basis Selbstbestimmung gebildet (Selbstbestimmungsgrundsatz, Selbstbestimmungshandlung, Selbstbestimmungsrecht, Selbstbestimmungsfähigkeit). Aufklärung und Kommunikation sind die patientenseitigen Mittel zur Wahrnehmung von Selbstbestimmung und zur Artikulation des eigenen Willens.
Alle hier angeführten semantischen Unterscheidungen bezeichnen lediglich Tendenzen. In Fachtexten ist Synonymie grundsätzlich möglich. Kollokationen zeigen, dass es zu den wichtigsten Aufgaben der Palliativmedizin gehört, sowohl Autonomie als auch Selbstbestimmung zu ermöglichen, zu fördern und zu erhalten. Der Erhalt von Autonomie kann nicht nur durch Symptomlinderung gewährleistet werden, sondern auch mithilfe von physiotherapeutischen, logopädischen und weiteren aktivitätsfördernden Konzepten.

 

Kollokationen: Respekt, Konzeption, Integrität, Wahrung, Paternalismus, Philosophie, Vorsorgeplanung, Gerechtigkeit, Fürsorge, Entscheidungssituation, Selbstbestimmung, Achtung, Prinzip, Menschenwürde, Vertrauen, Freiheit, Stärkung, Förderung, Verlust, Patientenverfügung

 

Feststehender Begriff: Nein. Die Wörter Autonomie und Selbstbestimmung werden in der Palliativmedizin in vielen Kontexten verwendet, wobei eine Reihe von wichtigen Domänen benannt werden kann, in denen das Wort vorkommt.

aus: Joachim Peters, Maria Heckel, Christoph Ostgathe (2020): Schlüsselbegriffe in der Palliativversorgung. Online-Handbuch. abrufbar unter https://www.uker.de/pm-handbuch