Score-Wert: 22,5 (zentraler Kernwortschatz)
Geschichte
Das Schlagwort der Sterbehilfe gehört zwar grundsätzlich zu den Wörtern, die das Fachgebiet Palliativmedizin am klarsten von anderen Disziplinen abgrenzen. Gemessen an der relativen Frequenz
verliert die Diskussion über Sterbehilfe jedoch – abgesehen von einer kurzen Renaissance 2015 und 2016 – kontinuierlich an Bedeutung. Der Begriff der Sterbehilfe kommt insbesondere in
Zeitschriftentexten zunehmend selten vor und wird als semantisch missverständlich kritisiert, während er in Handbüchern selbst in Neuauflagen häufig konserviert wird. Von einem Verschwinden
dieser Begriffsverwendung im wissenschaftlichen Kontext kann (noch) keine Rede sein – dennoch stammten im Zeitraum von 2018 – 2020 nur noch 24 % aller Belege aus aktuellen Fachartikeln.
Bedeutungsspektrum in der Palliativmedizin
Der Begriff der Sterbehilfe wird in immer mehr Fachtexten als generell inadäquat betrachtet und nur noch in Anführungszeichen verwendet, beispielsweise in neueren Zeitschriftenveröffentlichungen
oder der S3-Leitlinie Palliativmedizin V. 2.0, 2019. Eine fortgesetzte Verwendung lässt sich unter anderem durch die Herstellung eines größeren Bezugsrahmens erklären, der eine Rückbindung an
häufig geführte Alltagsdiskurse erlaubt, in denen das Wort noch mit größerer Selbstverständlichkeit gebraucht wird. Das Wort Sterbehilfe verfügt über drei semantische Komponenten: Erstens den
artikulierten Willen der Patientin/des Patienten, eine Lebensverkürzung herbeizuführen, zweitens die Anerkennung der eigenen Hilfsbedürftigkeit bei diesem Vorhaben, drittens die Hilfsbereitschaft
eines Dritten, beispielsweise der Ärztin/des Arztes. Die Verwendung des Wortes kann insofern Missverständnisse begünstigen, als dass dem Konzept „Hilfe“ die Vorstellung einer aktiven Handlung
zugrunde liegt, die in dieser Form nicht gegeben ist. Es werden (im weitesten Sinne des Wortes) drei Arten der Sterbehilfe unterschieden:
Aktive Sterbehilfe/ Tötung auf Verlangen: Intervention eines Dritten mit dem primären Ziel, das Leben der Patientin/des Patienten zu verkürzen. Entsprechend einer Tötung auf Verlangen wird die
Tötungshandlung durch die Patientin/den Patienten veranlasst, aber durch eine dritte Person durchgeführt. Diese Form der Sterbehilfe wurde in der Geschichte der Palliativmedizin niemals ernsthaft
in Erwägung gezogen, sie befindet sich außerhalb des in der Fachkultur Vertretbaren.
Indirekte Sterbehilfe/Therapien am Lebensende: Hierunter lassen sich Maßnahmen subsumieren, die zur Leidenslinderung der Patientin/des Patienten indiziert sind, wobei die Möglichkeit
lebensverkürzender Effekte bewusst in Kauf genommen wird („Nebenwirkung“, „Doppeleffekt“).
Passive Sterbehilfe („Sterben zulassen“): Das Zulassen des Sterbens wird in der überwiegenden Mehrzahl der Fachtexte befürwortet, wenn Behandlungsmaßnahmen nicht mehr indiziert sind oder die
Patientin/der Patient nicht in diese einwilligt. In Zusammenhang mit passiver Sterbehilfe taucht immer wieder der Begriff Palliative Sedierung auf. Palliative Sedierung wird eingesetzt,
um Leiden durch Verminderung der Bewusstseinslage möglichst zu begrenzen, trotzdem ist eine möglichst geringe Sedierungstiefe angezeigt. Der Begriff terminale Sedierung wird
wegen seiner offensichtlichen negativen Konnotationen in der Fachkultur insgesamt nur noch sporadisch verwendet.
Unabhängig von der konkreten Ausprägung ergibt sich für jedes beschriebene Setting die Notwendigkeit einer umfassenden Begleitung und Aufklärung der Patientin/des Patienten.
Kollokationen: passiv, aktiv, indirekt, Euthanasie, Alternative, Selbstmord, Legalisierung, strafbar, Beihilfe, Strafe, Verbot, Sterbebegleitung, unterlassen, Suizid, Debatte, Diskussion, Verzicht, erlauben.
Feststehender Begriff: Nein. Gerade in palliativmedizinischen Fachtexten findet immer wieder eine kritische Reflexion darüber statt, welche Handlungen als Sterbehilfe aufgefasst werden. Zudem existieren Überschneidungen zu anderen Konzepten.
aus: Joachim Peters, Maria Heckel, Christoph Ostgathe (2020): Schlüsselbegriffe in der Palliativversorgung. Online-Handbuch. abrufbar unter https://www.uker.de/pm-handbuch