Score-Wert: 30 (zentraler Kernwortschatz)
Geschichte
Sterbender/Sterbende zählt schon seit Beginn der Untersuchung zu den Schlüsselwörtern der Palliativmedizin, wobei sich eine immer größere Tendenz zur Komplexitätssteigerung und zum
Einbezug neuer Teilaspekte ergibt. In jüngerer Zeit werden neben Aktivität und Fragen der Diversität am Lebensende stärker thematisiert, der Erwerb von interkulturellen Kompetenzen und die
Berücksichtigung kulturspezifischer Eigenheiten im Umgang mit Sterbenden gehören zum Aufgabenprofil der Palliativversorgung.
Bedeutungsspektrum in der Palliativmedizin
Das Lebensende (und damit der Status als Sterbende/Sterbender) zählt zu den wichtigsten thematischen Aspekten und der Palliativmedizin und steht im Fokus. Die Palliativmedizin versteht sich vor
allem auch als medizinische Teildisziplin des Lebensendes. Der oben angesprochene Kausalzusammenhang verdeutlicht, dass das Lebensende eine Phase mit erheblicher zeitlicher Ausdehnung sein kann.
Der Status als Sterbende/Sterbender ist deshalb hinsichtlich spezifischer Merkmale weniger klar definiert als etwa Terminal- oder Finalphase, dennoch aber oft mit bestimmten Symptomen assoziiert
(z.B. Atemnot, reduzierter Appetit, Flüssigkeitsmangel).
Im Unterschied zur unmittelbaren Sterbephase liegt der semantische Fokus des Wortes Sterbende/ Sterbender auf einer stärkeren Ganzheitlichkeit. Sterbende verfügen über unterschiedlichste
Bedürfnisse, die es zu berücksichtigen gilt, dennoch kommt vor allem der symptomlindernden Maßnahmen ein zentraler Status zu. Darüber hinaus gehend bestehen die folgenden Kernanliegen der
Palliativmedizin, die in Fachtexten mit Sterbenden assoziiert sind: Eine würdevolle Gestaltung des Lebensendes, die Gewährleistung der Lebensqualität der Patientin/des Patienten nach den
verschiedenen Dimensionen, Eingebundenheit und die Ermöglichung sozialer Interaktionen und eine adäquate Begleitung. Das Lebensende ist – wie auch andere Lebensphasen – als sozialer und
kommunikativer Raum aufzufassen, in dem der oder die Sterbende agiert.
Die Diagnose "sterbend" ist Anlass und Argument für die Therapiezieländerung weg von Lebensverlängerung hin zu einem Erhalt von Lebensqualität. In Fachtexten ist der Status als Sterbende/
Sterbender semantisch nicht zuletzt als die Zeit nach einer Therapiezieländerung zu verstehen.
Mit dem Begriff der/des Sterbenden ist unmittelbar ethische Frage nach Unter- bzw. Übertherapie am Lebensende angesprochen, die als Balanceakt zwischen Autonomie und Patientenfürsorge zu
verstehen ist. Eine Reflexion ethischer und juristischer Implikationen einer Therapie oder das Vorliegen einer Übertherapie muss beständig erfolgen, besonders, wenn Maßnahmen wegen ihres unklaren
therapeutischen Nutzens von dem/der Sterbenden und dessen/deren Angehörigen als „Leidensverlängerung“ erlebt werden. Limitationen liegen dann nicht in der „Machbarkeit“ einer Maßnahme oder
in der verfügbaren Medizintechnik begründet, sondern in der Sinnhaftigkeit medizinischen Handelns.
Kollokationen: Vorsorge, Übertherapie, Behandlungsabbruch, Lebenswelt, Entscheidung, Entscheidungsfindung, Futility, Überversorgung, Flüssigkeitsgabe, Therapiezieländerung, existenziell, Therapiebegrenzung, Patientenautonomie, Migrationshintergrund, Sedierung, terminal, Selbstbestimmung, Diversität, Würde.
Feststehender Begriff: Ja. In der Regel bezeichnet der Begriff der/des Sterbenden eine Person in der Phase des Lebens, in der eine terminale Erkrankung vorliegt und das Sterben absehbar ist. Angelegt wird also kein zeitliches (eine bestimmte Dauer von Wochen oder Monaten vor dem Tod) oder symptomenbezogenes Kriterium, sondern eine Kausalität (eine Krankheit, von der begründet angenommen werden kann, dass sie in absehbarer Zeit zum Tod führt).
aus: Joachim Peters, Maria Heckel, Christoph Ostgathe (2020): Schlüsselbegriffe in der Palliativversorgung. Online-Handbuch. abrufbar unter https://www.uker.de/pm-handbuch